Die Social Media Revolution hat gutgläubige Unternehmen mit Kritikern konfrontiert – im schlimmsten Fall spitzt sich das zu bis zum Shit-Storm. Aus dieser Problematik ist eine neue Generation von “Experten” erwachsen, die wissen wie man Kritiker abwimmelt und gleichzeitig den guten Ruf wahrt, denn schließlich müssen Unternehmen kundenorientiert und freundlich sein oder zumindest so wirken.
Der Stop-Tasten-Bug
Kurz zur Vorgeschichte dieses Berichtes: Ich bin seit einiger Zeit begeisterter Ableton Live Nutzer. Wer das nicht kennt, es handelt sich um eine Musik-Software, die seit 2001 besteht. Ursprünglich überwiegend für elektronische Live-Auftritte konzipiert und eingesetzt, wird das Programm immer mehr zur Produktions-Software, in der sich anspruchsvolle Audio-Produktionen aufnehmen und mischen lassen. Und dieses Programm habe ich gekauft, weil ich damit einerseits Musik komponieren kann, andererseits beim Kauf davon ausging, dass man damit am besten Live-Auftritte professionell realisieren kann.
Mit unserem neuen Musik-Projekt ist in den vergangenen Wochen ein Set entstanden, das Ableton Leistungsfähigkeit mal richtig auf die Probe stellt. Und wie das manchmal so ist, tauchten die ersten Bugs auf: wenn ich auf eine neue Szene wechseln will, ist ein störendes Klick-Geräusch zu hören, und der Song läuft einen kurzen Moment langsamer. Nach einigen Experimenten habe ich rausgefunden, dass der Fehler verschwindet, wenn ich möglichst viele Stop-Tasten entferne. Doch das führt zu anderen Schwierigkeiten. Ich musste also etwas unternehmen.
Issues und Bug-Tracker
Als Webdesigner mit Programmiererfahrung weiß ich, dass Bugs in jeder Software vorkommen können. Ob eine Software gut ist, entscheidet jedoch der Umgang mit den Fehlern. Es ist wichtig, dass man Bugs möglichst schnell und effizient finden und beheben kann. Bei Open Source Projekten kann man mit entsprechnende Kenntnissen gleich im Quelltext nachsehen und vielleicht Hinweise auf den Ursprung des Fehlers sammeln. Gewöhnlich gibt es dazu einen Bug-Tracker. Das ist eine Software auf der Website der Entwickler, in der Fehler gemeinschaftlich erfasst und gezielt wie in einem Forum gelöst werden können und in die Software-Updates einfließen.
Ableton verlangt eine Status Report Datei
Bei Ableton gibt es keinen Bug-Tracker, sondern FAQs und ein Support-Formular. Nachdem ich also eine Anfrage gestellt habe und den Fehler möglichst genau mit dem Hinweis auf die Lösung beschrieben habe, erhalte ich erst einmal eine Rückmeldung, ich solle das neueste Update installieren, dann erneut versuchen und, wenn das Problem weiterhin bestehe, einen von der Software automatisch generierten “Status Report” senden.
Ich installiere also das Update und der Fehler besteht weiterhin. Beim Exportieren des Status Reports kommen mir erste Zweifel bezüglich der Inhalte dieses Status-Reports. Was steht da alles drin? Infos über das Programm? Infos über andere Programme? Vielleicht sogar Infos über Notizen in meinen Songs oder Dateien auf meiner Festplatte?
Aus Entwickler-Sicht mag ein solcher Status-Report vielleicht hilfreich sein, aus Datenschützer-Sicht jedoch vollkommen untragbar. Ich bin nicht umsonst auf Linux umgestiegen und habe mein Android-Smartphone gerootet und gemodet, um der Bedrohung durch ständige Daten-Spionage von proprietärer Software weitestgehend aus dem Weg zu gehen. Und jetzt soll ich einer Firma eine Datei schicken, die ich nicht lesen kann? Ich schreibe also eine Antwort-Mail, dass ich den Status-Report nicht senden kann. Als Rückantwort erhalte ich folgenden Wortlaut:
Hi Michael, Thank you for getting back to us. I am afraid that without a status report file it will be hard for us to reproduce, and in the end even solve this issue. So if you change your mind and send in a status report file we will be happy to analyze this further. Please let us know if you have any further questions. Best,
[Name und Signatur]
Im Klartext heißt das: kein Status Report, kein Support.
Ich antworte also erneut und beschreibe meine Bedenken bezüglich des Datenschutzes und dass man doch bitte ein offenes Dokument-Format wählen solle, damit ich wenigstens erfahren kann, was ich dort verschicke. Inzwischen ist ein neuer Bug aufgetreten. Und ich generiere parallel dazu einen Status Report. Der Versuch, die alp-Datei zu öffnen, gelingt mir teilweise (entpacken und als txt-Datei umbenennen), und ich kann zumindest bestimmte Wörter erkennen. Dort sind viele (alle?) VST-Plugins mitsamt dem Pfad enthalten. Könnte wichtig sein für die Lösung des Problems. Irgendwo taucht das Wort “Serial” auf, ob das auch benötigt wird für meinen Stop-Tasten-Bug? Die Namen der Songs, die ich mit Ableton gemacht habe, sind ebenfalls enthalten. Auch hier stelle ich mir die Frage nach dem Nutzen für die Lösung eines Bugs. Was sonst noch verschlüsselt in der Datei steht, weiß ich nicht, doch es reicht mir aus als Bestätigung für meine Skepsis.
Support Forum geschlossen
Der einzige Ausweg, den ich noch sehe, ist das Forum zu benutzen, und dort andere Nutzer zu fragen, ob Sie das gleiche Problem haben. Doch dann sehe ich etwas Dramatisches, so dramatisch, dass ich es seit langem als ersten Anlass zum Bloggen genommen habe:
Warum (zum Teufel) ist das Forum, in dem sich die Nutzer gegenseitig helfen, geschlossen? Bei über Zwanzig Tausend Themen scheint es hier doch einen Bedarf zu geben. Das alles deutet sogar darauf hin, dass die Nutzer bereit sind, sich gegenseitig zu helfen, gewissermaßen ein Traum von einer Community. Ist das unerwünscht von Ableton?
Bugs, das Produkt-Image und Community
Die Antwort ist vermutlich die Persönlichkeit des Unternehmens, die (ungeschriebene) Philosophie und das Menschen- (bzw. Kunden-)Bild der Firma.
Viele Firmen – oder vielmehr: die Menschen, die in diesen Firmen arbeiten – sehen eine offene Arbeitsweise als Gefahr für das Produkt-Image und damit für den kommerziellen Erfolg des Unternehmens. Wenn zu viele Fehler einer Software an die Öffentlichkeit kommen, befürchtet man, dass der Absatz und letztlich der Markenname darunter leidet.
Zudem wird vielleicht versucht, die Kunden bei Fragen und Problemen zu entsolidarisieren, um sie direkt an das Unternehmen zu binden, statt auf gegenseitige Hilfe zu vertrauen. Auf diesem Weg wird ein Kunde schneller ein neues Produkt oder eine Produkt-Erweiterung kaufen, weil ihm die Tipps zu kostenlosen und einfachen Alternativen fehlen. Diese Vorgehensweise ist letztlich sogar eine totalitäre Form der Machtausübung: der Kontakt zu anderen Kunden wird verhindert, der Kontakt zur Firma unter einseitig vorgeschriebenen Regeln wird erzwungen.
Der Begriff “Community” wird vom Grundgedanken der Solidarität und des Austauschs entkoppelt, er dient als Synonym für die Datensammlung und -speicherung.
Doch wie erreicht mein seine radikalen Einstellungen durchzusetzen, ohne dass es auffällt? Das wissen die Social Network Experten am besten: Aus angeblich technischen und benutzerfreundlichen Bedingungen wird verhindert und verschleiert, dass bestimmte Dinge nicht erwünscht sind. Dieser Trick hat sogar einen Namen: Dark Patterns.